„Kunst entsteht ja nicht aus nichts… ist nicht nur ein Verweis, sondern ein Gespräch mit anderen, und… Dialoge, die spielen eine große Rolle, und die mach ich manchmal sichtbar, indem ich mit sehr konkreten Künstlern zusammenarbeite und zusammen ausstelle und nicht nur ausgestellt werde.“
Die Dialoge, die Nairy Baghramian in ihren Installationen mit der jüngeren Kunstgeschichte führt, schließen die Unsichtbarkeit mit ein. In ihrer derzeitigen Einzelausstellung im Neuen Berliner Kunstverein betritt der Betrachter einen leeren weißen Raumkubus, der eigentlich eine Hinterlassenschaft noch der vorangegangen Ausstellung ist.
An Wänden und Böden hat Baghramian sehr sparsam drei gebogene Objekte angebracht, die entfernt an jene schwungvollen Linien erinnert, mit denen man in Texten wichtige Stellen einkreist. „Priviliged Points“, „bevorzugte Stellen“ – so der Titel – ist aber keine Installation, die Sichtbares hervorhebt, sondern bei der die Umkreisungen selbst zum skulpturalen Objekt werden, das einen durchaus auch an Linien auf Gemälden Jean Miros oder der Skulpturen Hans Arps erinnern könnte. Sie scheinen bestimmte Stellen im Raum hervorzuheben, tatsächlich aber sieht man außer ihnen selbst nichts weiter.
„Die Objekte haben ja selbst, also sozusagen die Kunstwerke haben selbst Daseinsberechtigung, weil sie sehr skulptural sind, sie sind ja Vollmetall, wirken aber sehr leicht durch den Kunstharzbezug. Aber letztendlich sind sie auch Markierungen, wirken wie Zeichen, wie Platzhalter für ´beliebte Stellen`, wie der Titel auch sagt, für etwas anderes. Das heißt über das Objekt Hinausdenkendes und Verweisendes vielleicht. Das wie ein Werkzeug wird, das noch eine andere Funktion hat, nämlich den Ort markiert vielleicht, an dem eine Skulptur, ein Bild oder eine Vitrine stehen könnte.“
Es muss keineswegs immer so sein, dass Baghramian wie im Neuen Berliner Kunstverein symbolisch auf „Fehlstellen“ verweist. Bei der Berlin Biennale im Jahr 2008, die für die 1971 im iranischen Isfahan geborene Künstlerin einen Durchbruch bedeutete, ging sie eine Kooperation mit der einst einflussreichen, zu diesem Zeitpunkt nahezu vergessenen Schweizer Designkünstlerin Janette Laverrière ein. Schon die Anbahnung dieses Projekts ist bemerkenswert. Baghramian erzählt, wie sie vor einem Regenguss in eine Buchhandlung geflüchtet und dort dann auf ein Buch gestoßen sei, in dem Laverrières Werk thematisiert wurde. Als Baghramian später erfuhr, dass die 1901 geborene Janette Laverrière noch lebe, suchte sie sie auf und realisierte mit ihr auf der Berlin Biennale eine Ausstellung in der Ausstellung, die der hochbetagten Laverrière zur überfälligen internationalen Anerkennung verhalf.
„Auch wenn die Moderne mich interessiert, merke ich, dass die Abwesenheit der Künstlerinnen und Architektinnen … dass es viele Fehlstellen gibt und dass es da noch viel Nachholbedarf gibt. Dass nicht nur das Vorhandene sozusagen eine Berechtigung hat, sichtbar zu sein.“
Nairy Baghramian kam Mitte der 80er-Jahre als Teenager nach Berlin, interessierte sich zunächst aber vor allem für Tanz und Bühne, ehe sie nach einem längeren Aufenthalt in London nach Berlin zurückkehrte, um hier nun als Künstlerin zu arbeiten.
„Ich bin wahrscheinlich glücklich, dass ich in der Zeit zur Kunst gekommen bin, Mitte der 80er-Jahre und Anfang der 90-Jahre, weil Kunst frei von all diesen Umständen sich entwickelt hat. Die Frage, was ist Kunst, warum machen wir Kunst, wie entsteht Kunst? Weil wahrscheinlich für mich von außen also als junger Künstler nichts von außen festgeschrieben war. Wir müssen die Räume selbst erschaffen. Wir müssen die Fragen selbst stellen.“
Diese Selbsterschaffung neuer künstlerischer Räume gelingt Nairy Baghramian mit einer Ästhetik von erstaunlicher skulpturaler Leichtigkeit, die immer wieder skizzenhafte, geradezu zeichnerische Elemente in Raumbezeichnungen umwandelt. Das zweite große Objekt ihrer Berliner Ausstellung ist in dieser Hinsicht zugleich typisch und eine Komprimierung ihrer Arbeitsweise. Es wirkt wie ein silbern verchromter Handlauf, der um einen ganzen Ausstellungssaal herumführt, an den Wänden jedoch von blauschimmernden Elementen aus Aluminiumguss gehalten wird, deren Abstände unregelmäßig sind.
Zudem ist der Chrommantel des Handlaufs immer wieder unterbrochen und gibt in den Fehlstellen einen Kern aus Beton preis. Steht man in der Mitte des ansonsten leeren Saales, erzeugt dieses silberglänzende, durchbrochene Objekt eine erstaunlich Wirkung, so als ob sich das ganze Raumvolumen zusammenziehe. Eine optische Täuschung? Vielmehr wohl ein suggestiver Effekt, der die Leere des Raumes fühlbar macht und sie mit musikalisch anmutenden Kraftlinien erfüllt, die sich der Rationalisierung einer zusammenfassenden Kunstgeschichtsschreibung entziehen.
Es gibt einige Künstlerinnen in der Generation Nairy Baghramians, die das Erbe der Moderne mit abstrakt-poetisch verdichteten und oftmals auch ähnlich zart anmutenden Rauminterventionen aufrufen. Baghramian aber geht es nicht allein um das Überlieferte, sondern um die Erfahrung einer anderen, noch nicht entdeckten oder vergessenen Geschichte.